Dienstag, 12. Mai 2015
Es ist so schwierig, wenn es doch einfach ist
Sie hieß Sarah, nannte sich aber Flo. Meinte, hätte mit ihrer Oma zu tun, die vor kurzem verstorben war. Glauben wollte ich das ihr nie, aber war auch nicht entscheidend.
Dachte ne Zeit lang, sie wäre die große Liebe ohne so richtig die Bedeutung dahinter zu verstehen. Aber wenn Du jung bist, biste irgendwie auch naiv und deutest Dinge anders. Soll keine Rechtfertigung für fehlende Reife sein, aber besonders in der Jugend glauben wir in so vielem etwas Großes, Wichtiges und oft auch nicht Änderbares zu erblicken. Also nicht änderbar, weil Du glaubst, es würde ewig so bleiben. Ist halt kompliziert. Obwohl, im Grunde sagen wir viel zu oft es wäre kompliziert und nur selten bestätigt sich das.
Mit 16, gerade unter dem Einfluss von Hormonen, war's wohl normal, wie ich die Welt sah. Wusste ja alles besser und hab auf Ratschläge von anderen geschissen. Meine Geschwister empfand ich als Klugscheißer und meine Eltern waren einfach nur Erwachsene.
Hab dem Wort „Liebe“ damals ne seltsame Bedeutung beigemessen. Hat sich aber auch erst über die Jahre gewandelt. Sagen wollte ich es dann auch nur noch einmal.
Denke schon, dass Sarah jemand Besonderes war, aber dass die mir so lange nicht ausm Kopf gehen wollte, lag weniger an ihr als vielmehr den Umständen. So war's dann auch, dass ich sie kurz nach unserem Stelldichein gar nicht sah. Meine damit, dass ich mich nicht erinnern konnte, wie sie aussah und so. Erinnerte mich an die Erlebnisse, aber wirkte alles so, als wäre sie austauschbar. Hab ich aber alles erst später wahrgenommen. Bist halt blind...
War mehr n Gefühl, das sich geändert hatte. Kannte ich so ja nicht. Klar, wenn man mein Alter bedenkt. Aber das war so n Gefühl wieder wahrgenommen zu werden.
In der Grundschule waren alle Klassenkameraden dicke. Hatte einer Geburtstag, war die gesamte Klasse eingeladen und hat gespielt. Da hatten die Eltern untereinander auch n ganz anderes Verhältnis. Kannten sich, tranken und feierten ihr eigenes Fest. War schon toll. Dachte auch mit meinem Kinderverstand, das bliebe so und hab mich auf spätere Zeiten gefreut. Ich war nie helle, bin's noch immer nicht, aber das Gefühl dabei war irgendwie ehrlich.
Als ich aufs Gymnasium kam, hatte ich zunächst mal nen Mädchennamen erhalten und sollte auch in ne Mädchenklasse. Meine Eltern waren beim Rektor, der da nur meinte „Ja, das ändern wir natürlich sofort“. Sofort war dann nach nem guten Monat. Sollte aber nicht besser werden. Folgen wir den Stereotypen einer Klasse, war ich ein Außenseiter. War nicht so, dass ich das wollte, aber hatte unreine Haut, war zu schüchtern und n ganz schöner Hänfling. Gefundenes Fressen eben. Kinder sind manchmal grausam.
Die ersten Freunde hatte ich in dieser Klasse auch erst ab der sechsten. Da war Stephan, mein bester. Die anderen hab ich vergessen. Waren noch zwei. Seltsam, dass ich ihre Namen nicht mehr kenne. Aber mit Namen hatte ich es noch nie.
Hab dann irgendwann mit dem Chatten angefangen und Sarah angeschrieben. Oder sie mich, weiß nicht mehr so genau. Hab da eher gestänkert. Wenn also mal jemand pauschalisiert, dass da so n Halbstarker hinter Computer sitzt, der in der Anonymität die große Klappe hat; in meinem Fall stimmte es. Verstehe nicht, wie Sarah dazu kam, mit mir chatten zu wollen, aber sie tat's. Irgendwann war unser Treffen und danach war es seltsam. Wir schrieben Mails hin und her, trafen uns aber nicht wieder. Aber wir sollten uns nochmal begegnen...
Das Schreiben ging bis zur elften so. Danach war Schluss, ausm Nichts. Wobei, die Mails wurden kürzer, wir schrieben auch nichts mehr über die Dinge, die wir erlebten. Hatte sich so vieles geändert. Ich begann mich immer mehr in meine Rolle als Außenseiter einzufügen und war plötzlich für andere interessant. Erst wurde ich unfreiwillig in diese Schublade gesteckt und jeder trat nochmal nach. Aber als es mir egal wurde, was andere denken, war ich mysteriös, spannend und anziehend? Menschen sind komisch, aber nicht lustig.
Diese ganze Veränderung kam mit dem Schreiben. Hatte ja „Der rote Fluss“ angefangen. Ich schrieb über die Jahre immer mehr rein. Am Ende verstand ich mich selbst nicht mehr. Ich selbst war in dem Buch verankert und mein Körper spazierte in der Realität herum. Kompliziert zu erklären. Wobei; so oft sagen wir, es sei kompliziert. Aber nur in den seltensten Fällen bestätigt sich dies auch.

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