Donnerstag, 7. Januar 2016
Wege
Mein erstes Trauma sollte schnell vorüber sein. Nach diesem einen Abend, mied ich Stephan, wie erwähnt. Ich machte mein Abitur, er blieb sitzen. Ich machte meinen Zivildienst, er war beim Bund. Ich fing an zu studieren, er starb. Wege könnten unterschiedlicher nicht verlaufen.
Innerhalb meines Zivildienstes lernte ich eine Person kennen, die diesem Bild entsprach und mit der ich dennoch zusammen kam. Ich kurz vor meinen Studienbeginn, sie gerade mal so mit Hauptschulabschluss. Es war ein Leben, dass aus Alkohol- und Drogenkonsum bestand. In dem ich erstmals lernte, wie schön es ist, Dinge mittels Kiffen einfach auszublenden und durch das ständige Übergeben zu merken, dass ich lebe. Im Nachhinein war es eine dumme Zeit, aber nicht meine schlimmste.
Ich sollte mit Beginn meines Studiums und der Nachricht von Stephans Tod erstmals merken, was meine Vergangenheit mit meinem Charakter angestellt hatte. Wie ich kalt wurde, berechnend und nur auf mein eigenes Wohl fixiert. Und wie ich dadurch die Person kennenlernte, die mein Leben bis heute zu bestimmen scheint, da ich mich über die Schatten, die sie über mich warf, nie hinwegsetzen konnte.
Ich war bei einem Konzert von Nightwish in der Arena und sah sie zum Schluss am Ausgang. Es trafen sich nur unsere Blicke, doch hatte ich das Gefühl, dass ich diese Person unbedingt wiedersehen musste, ohne sie zu kennen. Im Anschluss des Konzerts machten sich meine Freunde und ich auf den Weg zur Aftershow ins Darkflower. Es war ein lustiger Abend, wir tranken in Maßen, hatten aber unseren Spaß zu sehr guter Musik. Es wurde spät und wir machten uns auf zu gehen, da sah ich sie erneut. Wieder am Ausgang, wieder gehend, wie ich. Erneut schauten wir uns an, doch diesmal hatte ich das beklemmende Gefühl, dass ihre Blicke mir sagten „Du gehörst mir“. Abgesehen von diesem Blickwechsel ist nichts passiert an diesem Abend. Ich ging alleine nach Hause, schlief alleine ein und wachte nach langer Zeit spät wieder auf. Ich hatte das Gefühl schlecht geträumt zu haben, konnte mich aber an einen Traum nicht erinnern. Es fühlte sich so an, als würde mich etwas gedanklich einnehmen, ohne dass ich es genau bestimmen konnte. Ich wurde durch das schlechte Schlafverhalten rastlos, unruhig und immer schlechter gelaunt. Meine Leistungen an der Uni nahmen ab und überhaupt schien auch mein Freundeskreis einen Bogen um mich zu machen. Sie verstanden mich nicht, aber ich verstand mich selber nicht. Diese Unruhe hielt ziemlich genau ein Jahr an. In meiner Erinnerung befand ich mich erneut im Darkflower mit dem Unterschied, dass es an sich kein guter Abend war. Ich saß nur an der Bar und trank Bier. Mir war nach Gehen zu Mute, bis ich sie sah. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich lange nicht mehr geschrieben, aber als ich sie sah, fiel mir „Augenblick“ ein.

Ich ging wie jeden Abend in diese Kneipe,
setzte mich an die Theke
und bestellte diverse Getränke.
Auf einmal tratest Du durch die Tür.
Du fielst mir sofort auf,
mit deinem langen,
schwarzem Haar
und deinem,
traurig lächelnden Blick.
Neben dir standen zwei Freunde,
aber gehörtest du zu ihnen?
Nicht weit von mir
nahmst du Platz,
allein,
und schautest,
gedankenverloren
durch den Raum.
Ich schaute dich lange und intensiv an.
Deine schwarzen Haare,
und dein traurig lächelnder Blick,
fesselten mich,
hielten meinen Blick bei dir.
Mir war so warm ums Herz.
Ich nippte an dem halbleeren Glas,
gefüllt mit Wein,
bittersüß
im Geschmack.
War es der Alkohol, der mich
erfreute,
der mich erwärmte,
oder warst es Du.
Auch Du sahst irgendwann zu mir.
Du lächeltest.
Ja, daran erinnere ich mich noch gut.
Dein Lächeln war so traurig und doch
so warm.
War es der Alkohol?
Ich hob vorsichtig meine Mundwinkel an,
Du schautest mich lange an, und Du
lächeltest die ganze Zeit.
Mir war so warm ums Herz
Und mein Bauch kribbelte.
Meine zittrigen Hände hoben das halbvolle Glas
Zum Mund.
So warm.
Warst es Du?
„Gib dir einen Ruck“, sagte ich zu mir.
Dann erhob ich mich endlich,
du schautest noch immer lächelnd zu mir,
Ja, auch ich lächelte, erhob mich
und
ging.

Ich sollte an diesem Abend nicht alleine nach Hause gehen. Liisa verhielt sich mir gegenüber in einer Selbstverständlichkeit, die mich hätte aufschrecken müssen. Diese Begegnung sollte eine einjährige Pause haben, um uns eine Nacht zu schenken, die unvergesslich war. Ein Jahr Pause, um einen Menschen kennenzulernen, von dem ich glaubte, dass er bereits alles über mich und ich alles über ihn wusste. Ein Jahr, dass aus meiner jetzigen Sicht hätte dennoch einen anderen Weg einschlagen sollen. Liisa sollte mein eigentliches Trauma werden, meine Mauer, die ich nicht überwinden konnte.
So wie ich mittlerweile bin, empfinde ich mich als gewachsen und angekommen. Ich wünschte, ich hätte diesen Weg von Anfang an beschritten. Doch oft hätte man unterschiedlichere Wege nicht gehen können.

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