Mittwoch, 2. März 2016
Träume
Oft kommt es mir wie ein Traum vor und nicht selten frage ich mich, ob Liisa überhaupt existierte. Vielleicht manifestierte sich all meine schlechte Erfahrung in etwas Greifbaren, in dem Fall in einer Person, der ich die Schuld geben konnte. Es wäre so leicht, sie dafür verantwortlich zu machen, dass meine Mauer überhaupt erst bestehen konnte und ich es nicht mal aus freiem Willen schaffe aus diesem Gefängnis auszubrechen. Dann wäre aber dieser Traum ein zu realer, die Erlebnisse zu nah und ein großer Teil meiner Vergangenheit nicht mehr als eine Erfindung. Dann wäre ich krank und bräuchte Hilfe. Mir behagt das nicht. Noch weniger aber behagt mir, dass ich recht haben könnte und alles nur ein Traum ist. Dann habe ich für diesen Traum gekämpft.
Ich habe Liisa nie geliebt, aber ein sehr starkes Gefühl der Abhängigkeit für Sie empfunden. Sie war nach langer Zeit eine Möglichkeit meinem Alltag zu entfliehen. Ihre geheimnisvolle Aura zog mich magisch an und ich erlag der Faszination einer gespaltenen Persönlichkeit. Allein schon meine Zweifel, ob dies alles echt sei, zeigen ihren fernen Einfluss, der bis heute zu wirken scheint. Sie zeigen, dass ein verwirrter Geist ansteckend sein kann. Und sie zeigen meine Schwäche für abnormale Geschehnisse.
Liisa litt an Borderline und soweit ich das beurteilen kann, an keiner leichten Form. Ihre Gefühlsschwankungen waren mit der Zeit zu ertragen. Ich konnte mir sogar vorstellen lange mit ihr zusammen zu bleiben, um eventuell mitzuerleben, wie sie geheilt würde. Mein Wunsch für sie war wirklich, dass ich ihr geben konnte, was keiner ihr zu geben vermochte, ungeachtet dessen, dass ich meine eigenen Sehnsüchte hintenan stellte. Es war die erste Illusion, der ich erlag. Die zweite war, nicht zu sehen, dass es wirklich nicht ihre Symptome waren, die mir mehr und mehr zu schaffen machten, sondern das beklemmende Gefühl plötzlich selber an einer Persönlichkeitsstörung zu leiden. Liisa wurde ein Abbild dessen, was ich mir immer gewünscht hatte. Unsere Erlebnisse waren die schönsten von allen und mehr und mehr verlor ich mich in einer Welt, in der nur in meinem Unterbewusstsein überhaupt etwas passierte. Ich glitt in eine Traumwelt ab und verlor den Sinn für die Realität. Keiner kannte Liisa, keiner wusste von meiner Beziehung zu ihr. Keiner wusste, wo ich wohne und um dieses Geheimnis aufrecht zu erhalten, begann ich Lügenkonstrukte zu erschaffen, die sich mehr und mehr meiner Kontrolle entzogen. Was passierte wirklich? Was war Einbildung? Ich weiß es nicht mehr.
Hans-Christoph Neuert schrieb „Du kämpfst wie wild für deinen Traum und fürchtest, dass er sich erfüllt“. Mein Traum war jemanden wie Liisa zu finden und zu halten, aber sie entsprach der Vorstellung der Person meines Traumes nicht. Am Ende bewahrheitete sich die Angst, sie könnte es sein. Dann wäre ich nie von ihr losgekommen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 7. Januar 2016
Wege
Mein erstes Trauma sollte schnell vorüber sein. Nach diesem einen Abend, mied ich Stephan, wie erwähnt. Ich machte mein Abitur, er blieb sitzen. Ich machte meinen Zivildienst, er war beim Bund. Ich fing an zu studieren, er starb. Wege könnten unterschiedlicher nicht verlaufen.
Innerhalb meines Zivildienstes lernte ich eine Person kennen, die diesem Bild entsprach und mit der ich dennoch zusammen kam. Ich kurz vor meinen Studienbeginn, sie gerade mal so mit Hauptschulabschluss. Es war ein Leben, dass aus Alkohol- und Drogenkonsum bestand. In dem ich erstmals lernte, wie schön es ist, Dinge mittels Kiffen einfach auszublenden und durch das ständige Übergeben zu merken, dass ich lebe. Im Nachhinein war es eine dumme Zeit, aber nicht meine schlimmste.
Ich sollte mit Beginn meines Studiums und der Nachricht von Stephans Tod erstmals merken, was meine Vergangenheit mit meinem Charakter angestellt hatte. Wie ich kalt wurde, berechnend und nur auf mein eigenes Wohl fixiert. Und wie ich dadurch die Person kennenlernte, die mein Leben bis heute zu bestimmen scheint, da ich mich über die Schatten, die sie über mich warf, nie hinwegsetzen konnte.
Ich war bei einem Konzert von Nightwish in der Arena und sah sie zum Schluss am Ausgang. Es trafen sich nur unsere Blicke, doch hatte ich das Gefühl, dass ich diese Person unbedingt wiedersehen musste, ohne sie zu kennen. Im Anschluss des Konzerts machten sich meine Freunde und ich auf den Weg zur Aftershow ins Darkflower. Es war ein lustiger Abend, wir tranken in Maßen, hatten aber unseren Spaß zu sehr guter Musik. Es wurde spät und wir machten uns auf zu gehen, da sah ich sie erneut. Wieder am Ausgang, wieder gehend, wie ich. Erneut schauten wir uns an, doch diesmal hatte ich das beklemmende Gefühl, dass ihre Blicke mir sagten „Du gehörst mir“. Abgesehen von diesem Blickwechsel ist nichts passiert an diesem Abend. Ich ging alleine nach Hause, schlief alleine ein und wachte nach langer Zeit spät wieder auf. Ich hatte das Gefühl schlecht geträumt zu haben, konnte mich aber an einen Traum nicht erinnern. Es fühlte sich so an, als würde mich etwas gedanklich einnehmen, ohne dass ich es genau bestimmen konnte. Ich wurde durch das schlechte Schlafverhalten rastlos, unruhig und immer schlechter gelaunt. Meine Leistungen an der Uni nahmen ab und überhaupt schien auch mein Freundeskreis einen Bogen um mich zu machen. Sie verstanden mich nicht, aber ich verstand mich selber nicht. Diese Unruhe hielt ziemlich genau ein Jahr an. In meiner Erinnerung befand ich mich erneut im Darkflower mit dem Unterschied, dass es an sich kein guter Abend war. Ich saß nur an der Bar und trank Bier. Mir war nach Gehen zu Mute, bis ich sie sah. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich lange nicht mehr geschrieben, aber als ich sie sah, fiel mir „Augenblick“ ein.

Ich ging wie jeden Abend in diese Kneipe,
setzte mich an die Theke
und bestellte diverse Getränke.
Auf einmal tratest Du durch die Tür.
Du fielst mir sofort auf,
mit deinem langen,
schwarzem Haar
und deinem,
traurig lächelnden Blick.
Neben dir standen zwei Freunde,
aber gehörtest du zu ihnen?
Nicht weit von mir
nahmst du Platz,
allein,
und schautest,
gedankenverloren
durch den Raum.
Ich schaute dich lange und intensiv an.
Deine schwarzen Haare,
und dein traurig lächelnder Blick,
fesselten mich,
hielten meinen Blick bei dir.
Mir war so warm ums Herz.
Ich nippte an dem halbleeren Glas,
gefüllt mit Wein,
bittersüß
im Geschmack.
War es der Alkohol, der mich
erfreute,
der mich erwärmte,
oder warst es Du.
Auch Du sahst irgendwann zu mir.
Du lächeltest.
Ja, daran erinnere ich mich noch gut.
Dein Lächeln war so traurig und doch
so warm.
War es der Alkohol?
Ich hob vorsichtig meine Mundwinkel an,
Du schautest mich lange an, und Du
lächeltest die ganze Zeit.
Mir war so warm ums Herz
Und mein Bauch kribbelte.
Meine zittrigen Hände hoben das halbvolle Glas
Zum Mund.
So warm.
Warst es Du?
„Gib dir einen Ruck“, sagte ich zu mir.
Dann erhob ich mich endlich,
du schautest noch immer lächelnd zu mir,
Ja, auch ich lächelte, erhob mich
und
ging.

Ich sollte an diesem Abend nicht alleine nach Hause gehen. Liisa verhielt sich mir gegenüber in einer Selbstverständlichkeit, die mich hätte aufschrecken müssen. Diese Begegnung sollte eine einjährige Pause haben, um uns eine Nacht zu schenken, die unvergesslich war. Ein Jahr Pause, um einen Menschen kennenzulernen, von dem ich glaubte, dass er bereits alles über mich und ich alles über ihn wusste. Ein Jahr, dass aus meiner jetzigen Sicht hätte dennoch einen anderen Weg einschlagen sollen. Liisa sollte mein eigentliches Trauma werden, meine Mauer, die ich nicht überwinden konnte.
So wie ich mittlerweile bin, empfinde ich mich als gewachsen und angekommen. Ich wünschte, ich hätte diesen Weg von Anfang an beschritten. Doch oft hätte man unterschiedlichere Wege nicht gehen können.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 17. August 2015
Das Gesamte
Stephan und ich sollten lange Zeit durch dick und dünn gehen. Ich war bei ihm und wir zockten Super Nintendo. Wir waren gemeinsam auf dem Sportplatz und spielten Fußball gegen vermeintliche Superstars und gewannen. Da ich bei mir nicht allzu viel bieten konnte, was wirklich besser gewesen wäre, waren wir vordergründig bei ihm und im Grunde nie bei mir. Bis irgendwann seine Eltern verreisten und wiederum anfragten, ob Stephan nicht über die Zeit bei uns bleiben könnte. Zu dem Zeitpunkt waren wir bestimmt sechzehn Jahre alt.
Die Herberge stellte kein Problem dar, zumal er alles mitbrachte und mein Zimmer in ein für damalige Verhältnisse Paradies für Technik-Nerds verwandelte. Also zockten wir immer noch Super Nintendo, aber bei mir. Wir spielten mit Lego und bauten eine riesige Burg aus allen Steinen, eben auch Stephans. Wir verwandelten mein Zimmer mit ganz vielen Decken und Kissen in ein Lager und mein Bett mit wenigen Griffen und dem PC-Lenkrad Stephans in einen Sportwagen. Fast fühlte es sich auch so an, als gehörte alles mir und Stephan war nur Gast und der faszinierte Blick galt auch all den Dingen, die ich besaß. Ich sollte mich irren, denn sein Blick war nicht fasziniert und er galt nicht meinem „neuen“ Spielzeug.
Natürlich war bei mir Angst im Spiel, dass ich mich darauf hin nie wieder bei ihm meldete und selbst seinen Anruf bei uns nahm ich nur widerwillig entgegen. Er blieb sitzen, ich kam in die Oberstufe, der Kontakt war bereits zum Abbruch bestimmt. Aber etwas in mir veränderte sich und die anfängliche Unbeholfenheit, meine schüchterne Art und mein nerdiges Verhalten machten Platz für den zu Beginn dieses Textes beschriebenen Charakter: Ich begann mich wohlzufühlen als Außenseiter und ich machte mir einen Spaß daraus, andere zu verletzen.
Stephan, so erzählten mir es mir seine Eltern Jahre später, sei bei einem Autounfall gestorben. Ich war zu dem Zeitpunkt auf der Universität, hatte bereits Sarah und all die anderen verkorksten Erinnerungen hinter mich gebracht und war auch nicht mehr so verletzend. Vermutlich hätten mich dennoch viele für einen Player gehalten, nur war meine Art vielleicht eine nach Außen coole, aber innerlich blieb ich verklemmt. Was aber blieb, war meine neu dazu gewonnene Verschlossenheit, die wohl Ergebnis meiner Erfahrungen war.
Ich drückte gegenüber Stephans Eltern mein Beileid aus und hörte der weinenden Mama noch lange zu. Dass wir so gute Freunde waren und es schade war, dass es auseinander ging, dass Stephan einen guten Freund lange gebraucht hatte und dass sein damaliger fester Freund absolut keinen guten Einfluss auf ihn hatte...ich hörte mir alles still und leise an und begriff zum ersten mal, dass Worte wenig ausdrücken, wenn jemand eine andere Sprache spricht. Meine war während des Telefonats die geballte Faust, das hämische Grinsen über seinen Tod und die gelangweilte Miene während des Zuhörens. Meine Sprache war Verachtung.
Stephan war also schwul und hatte einen Freund kennengelernt, der Drogen nahm und auf irgendwelchen Partys reiche Typen ansprach und für Geld mit ihnen in die Kiste sprang. Die Vermutung lag nahe, dass auch Stephan das alles getan hatte, aber die Mitteilung über den Tod ihres Sohnes war hart genug, man musste den Eltern nicht auch noch die Wahrheit über seinen Charakter und seine Handlungen offenbaren.
Was uns passiert, verändert, trotz der Fähigkeit auf unseren weiteren Verlauf Einfluss zu verüben, Alles. Wir machen Dinge, von denen wir wissen müssten, dass sie schlecht sind. Wir verletzen Leute, weil wir verletzt wurden und am Ende freuen wir uns, dass mal jemand sagte „Wir sind die Gesamtheit unserer Erfahrungen und entsprechend sind unsere Handlungen“... Nur vergessen wir dabei, dass das Gesamte stets mehr als die Summe seiner Einzelteile ist...

... link (1 Kommentar)   ... comment